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Die Scheinwerfer strahlen gleissend auf die beiden Moderatoren. Sie, eine blonde Mittzwanzigerin. Er, ein schwarzhaariger, elegant bebarteter Mittdreißiger, der schon ein wenig grau wird, quasi Clooney für Arme. Die beiden stehen nun da. Beide haben ein Kuvert in der Hand. Güldene Kuverts. Ja, diese Farbe wird dem Preis, der heute zu vergeben sein wird, nur gerecht. Das Publikum hängt gebannt an den Lippen der Moderatoren. Im Hintergrund wummert Musik, wie wir sie aus unzähligen Kinofilmen kennen, wenn uns Hollywood sagen will: Jetzt wird's spannend. Das ist der Moment, in dem der Regisseur der Liveübertragung der Freitagstexterprämierung zeigt, was er drauf hat. In schnellen Schnitten zeigt er die gebannten Gesichter der (und jetzt kommt's) Eltern und angehörigen, der hoffnungsvollen Kandidaten. Sie alle starren nach vorne. Nervös. Nägelkauend und dabei ertappt, gezwungen lässig lächelnd, andere rücken nah zusammen und legen sich die Arme um die Schultern, wieder andere drücken die Daumen. Die Augen leuchten, der Lidschlag wird unterdrückt. Und dann.
Sagt die Moderatorin: "And the winner…" Drei Worte die die Ewigkeit zerfetzen, nur um eine neue Ewigkeit zu verharren. Die Bassboxen schuften jetzt doppelt, die Moderatoren üben sich im gespannten Lächeln, über die Headsets sagt ihnen der Regisseur, dass sie noch warten sollen, er habe noch ein paar Kamerafahrten über das Publikum im Saal und einen Steadycam-Run an den Kandidaten vorbei geplant.
"is" drückt der Kaffeetapsonkelverschnitt raus. Mit lang gezogenen i. Wobei er auch, je länger er das i spricht, auch die rechte Augenbraue nach oben zieht und den Kopf dabei leicht nach links dreht und dabei zart nach unten beugt. Der Steadcamman rennt los. Da sind sie. Gebannt harren sie der Dinge. Ein jeder hat seine Worte noch im Kopf. Sortiert sie geistig um. "Hätte ich nicht doch..?" und "Warum hab ich nicht..?". Doch zu spät. Jeder gab sein bestes. Und die Jury hatte keine leichte Aufgabe, das ist klar. Doch das alles zählt jetzt nichts. Überhaupt nichts. Der große Moment ist da. Jetzt ist es soweit.
Die beiden öffnen wie einstudiert das Kuvert. Synchron. 12 Kuverts haben sie in den Proben verschlissen. Jeder. Nur um synchron die Kuverts zu öffnen.
Der Regisseur legt seinen kleinen Finger der rechten Hand auf den grünen Button - auf dem "Baaam!!!" steht. Der Knopf auf dem riesigen Bedienpult, den nur er drücken darf. Der Knopf, der den Glitterregen und die Pyroshow startet. Der Knopf, auf dessen Drücken hier alle warten. Denn wenn er gedrückt ist, dann ist es raus. Dann weiß die Welt, wer nächsten Freitag Freitagstexter sein darf. Eine außerordentliche Ehre, der sich der Regisseur gewahr ist. "Ein bisschen geht noch." denkt er sich. Die Streicher im Orchester tänzeln über den gestrengen Bass, die Percussions-Truppe, die eigens aus Brasilien eingeflogen wurde, wartet, dass sie gleich gegen eine Pyroshow ankämpfen darf. Hinter der Bühne warten 22 Tänzerinnen und Tänzer, die mit einer tagelang geprobten Ballettchoreographie ein wenig an die großen Fernsehshows erinnern sollen. Sie alle warten. Kandidaten. Eltern. Moderatoren. Tänzer. Percussionisten. Streicher. Raketen. Glitterbömbchen. Der kleine Finger des Regisseurs.
"Sag's" - er hat sein Mic auf die Moderatorin geschalten. Sie lächelt zart auf, mehr noch als sie eh schon dauergrinste. Die beiden wussten vorab nicht, wer das Ergebnis verkünden darf. Auch nicht der Regisseur. Der grau melierte Typ hatte insgeheim damit gerechnet, dass seine Stimme den Sieger bekannt geben darf. Seine Stimme als die kleine Überraschung des Abends gesehen, wenn er, und nicht das blonde Mädel (was für ein erwartbarer Kitsch) die Spannung auflöst. Aber nein. Er war der erste, der in diesem Moment zutiefst enttäuscht war. Doch gleich werden es unzählige andere auch sein, denn gewinnen kann nur eine. Oder eine. Leider.
Jetzt öffnet sie den Mund. Sie öffnet das Kuvert. Sie öffnet die Augen. Blickt in die Kamera. Man kann es in ihren Augen schon ablesen. In diesem Moment atmet keiner im Saal. Die Spannung hatte noch nie so einen Höhepunkt. Spannung muss neu definiert werden, dessen war sich der Regisseur sicher, der sich schon in Hollywood wähnte, wo er nicht in einem Übertragungswagen auf dem Parkplatz der Mehrzweckhalle Oberwart sitzen muss.
"Kulturflaneur"
Der kleine Finger des Regisseurs drückt den Baaam-Button. Jetzt bricht alles los. Die Tänzer zirkeln rein. Glitterbömbchen machen den Saal zu einer übergroßen Schneekugel. Die Brasilianer trommeln und rasseln was das Zeug hält. Ein Grüppchen im Publikum springt auf und fällt sich in die Arme, während rundum Köpfe hängen gelassen werden. Doch bald besinnt man sich und gratuliert. Die Moderatoren versuchen den Trubel zu übertönen und bedanken sich bei allen Teilnehmern und geben bekannt, dass die Jury es besonders schwer hatte, weil die Beiträge derart hochklassig waren. Der Regisseur lehnt sich zufrieden zurück. Alles ist gut gegangen. Nein. Alles lief perfekt. Elegant greift er an sein Bedienpult. Er hat sich eine Cohiba zurecht gelegt. Und jetzt pfeift er auf das "Rauchen verboten"-Schild an der Tür. Jetzt hat er sich den Glimmstängel verdient.
Jetzt wird die nächste Staffel angekündigt. Im Blog von "Kulturflaneur" geht es weiter. Eine noch größere Show wird angekündigt. Mit noch besseren Kandidaten. Noch besseren Beiträgen und noch mehr Spannung. Der Abspann rast durchs Bild. Glitterregen. Sich umarmende Menschen. Tänzer. Trommler. Das volle Programm.
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